Ultraharte Weichtierzähne erforscht

10. Juni 2021

Wissenschaftler des Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie publiziert in Proceedings of the National Academy of Sciences
[Bild: IGVP]

Der Chemiker Dr. Linus Stegbauer hat während seines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten wissenschaftlichen Aufenthaltes in der Forschungsgruppe von Professor Derk Joester an der der US-amerikanischen Northwestern University erstmals ein seltenes Mineral, Santabarbarait, in einem lebenden Organismus nachgewiesen und untersucht. Darüber hat das Team nun mit Stegbauer, der heute am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP der Universität Stuttgart tätig ist, als Erst-Autor einen Artikel im renommierten Wissenschafts-Journal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht. Seine Forschungen führt der Experte für biologische Hartmaterialien an der Universität Stuttgart fort, mit dem Ziel, neuartige bio-inspirierte Strukturmaterialien zu entwickeln.

Auf den ersten Blick kommt die maritime Käferschnecke (Cryptochiton stelleri) etwas unförmig daher, sodass sie im Englischen auch als „wandering meatloaf“ (zu Deutsch: laufender Hackbraten) bezeichnet wird. Doch unter seiner unscheinbaren Fassade hat das Meerestier Erstaunliches zu verbergen: Die Zähne seiner Raspelzunge (Radula), mit der es Algen von Felsen schabt, sind aus einem besonderen Material und beinhalten das seltene Eisenmineral Santabarbarait. Dieses verleiht den Zähnen in deren Wurzeln eine außergewöhnliche Steifigkeit und macht sie zu einem der härtesten bekannten Materialien in der Natur. Gleichzeitig sind die Zähne auf einer flexiblen und weichen Radula befestigt, was für eine hohe Flexibilität sorgt. So sind die Mollusken-Tiere perfekt an ihre Umgebung angepasst und beißen sich an den Felsen buchstäblich nicht die Zähne aus.

Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme eines Teils der Raspelzunge einer Käferschnecke. Gut sichtbar sind die vier dreizackigen Zähne.

Unter der Leitung von Derk Joester, Professor für Materialwissenschaften und Ingenieurwesen an der McCormick School of Engineering der Northwestern University in Evanston bei Chicago, hat ein Forschungsteam der Universität das Material der Zahnwurzel erstmals intensiv wissenschaftlich untersucht und dabei die erstaunliche Entdeckung des Santabarbaraits gemacht. „Dieses Mineral wurde bisher nur in sehr geringen Mengen in geologischen Proben nachgewiesen und wurde noch nie in einem biologischen Kontext gefunden“, erklärt Joester.

Für die Analyse des Zahnmaterials arbeitete das Projektteam unter anderem mit Ercan Alp vom Argonne National Laboratory zusammen. Dessen Advanced Photon Source in Lemont (Illinois, USA) verfügt über ein Synchrotron zur Durchführung von Mößbauer-Spektroskopie und konnte den Wissenschaftlern somit die benötigte Infrastruktur für ihre Untersuchungen zur Verfügung stellen.

Die Forschenden haben zudem festgestellt, dass das Material der Zähne einen hohen Wassergehalt aufweist, was es zu einer enormen Festigkeit bei gleichzeitig geringer Dichte beiträgt. Sie gehen davon aus, dass dies die Zähne steifer und fester macht, ohne gleichzeitig mehr Gewicht zuzulegen. Diese besonderen Eigenschaften machen die Zähne auch für die angewandte Materialwissenschaft interessant. Basierend auf den Mineralien, die darin gefunden wurden, entwickelten die Forscher der Northwestern University eine bio-inspirierte „Tinte“ für den 3D-Druck von harten, steifen und haltbaren Materialien.

Die Studie beschreiben die Wissenschaftler nun in einem wissenschaftlichen Artikel, der am 1. Juni 2021 in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde, einem der renommiertesten Journals der Welt. Neben Joester als korrespondierender Autor ist IGVP-Wissenschaftler Stegbauer als Erst-Autor maßgeblich an der Veröffentlichung beteiligt. Er war von 2016 bis 2019, von der DFG durch ein Forschungsstipendium ermöglicht, an der McCormick School of Engineering tätig und wechselte 2019 an das IGVP in Stuttgart, um dort eine eigene Forschungsgruppe mit dem Schwerpunkt „Chemie bio-inspirierter Strukturmaterialien“ aufzubauen. Bei seinen weiterführenden Forschungen greift er auf seine Arbeiten an der Northwestern University zurück.

Die Studie „Persistent polyamorphism in the chiton tooth: From a new biomaterial to inks for additive manufacturing“ wurde von der National Science Foundation (Förderkennzeichen DMR-1508399 und DMR-1905982), den National Institutes of Health (NIH-DE026952), dem Air Force Research Laboratory (FA8650-15-2-5518) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (STE2689/1-1) unterstützt.

Fachlicher Kontakt:

Dr. Linus Stegbauer, Universität Stuttgart, Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP, +49 711 685-65595, E-Mail

Kontakt

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Linus Stegbauer

Dr.

Dozent, Biomimetische Grenzflächen

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