Plastik zwischen Korallen auf dem Meeresgrund vor Curacao.

Meeres-Plastik sichtbar machen

2. Dezember 2020, Nr. 78

Konsortium mit Beteiligung der Universität Stuttgart entwickelt innovative Monitoring-Technologie, die Kunststoffmüll am Meeresgrund aufspüren soll
[Bild: Joost den Haan - planblue]

Ob Strohhalme, Plastikflaschen oder Verpackungen – Kunststoffmüll landet tonnenweise in den Ozeanen, der weitaus größte Teil davon für den Menschen unsichtbar am Meeresboden. Unklar ist das genaue Ausmaß der Verschmutzung, wo sich besonders viel Plastik ablagert und wie es geborgen werden kann. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Projekt „MtecPla“ entwickeln Partner aus Industrie und Forschung, darunter die Universität Stuttgart, die weltweit erste Monitoring-Technologie, die Plastikabfall am Meeresboden automatisiert identifizieren und visualisieren soll.

Nur ein geringer Teil des Plastikmülls in den Weltmeeren schwimmt auf der Oberfläche, der Rest sinkt in tiefere Gewässer oder auf den Meeresboden und bedroht die dortige Pflanzen- und Tierwelt. Bisher gibt es keine Möglichkeit, Plastik am Grund der Ozeane großflächig aufzuspüren. Traditionelle Monitoring-Methoden, bei denen Taucherinnen oder Taucher manuell Bilddaten entlang von Linien oder gespannten Schnüren (sogenannten Transekten) erheben, ermöglichen nur Aussagen über sehr begrenzte Gebiete. Zudem sind diese Verfahren äußerst zeitaufwändig, kostspielig und in tieferen Gewässern nahezu unmöglich. Auch liefern sie in der Regel keine georeferenzierten Daten, anhand derer sich Standorte wiederfinden lassen, etwa um Plastik zu bergen oder dessen Zustand zu überprüfen. 

Effizientere Lösungen gefragt

Eine effizientere Lösung ist das Ziel des Projekts „MtecPla“, in dem die planblue GmbH, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), die Kurt Synowzik Werkzeug u. Maschinenbau GmbH & Co. KG und das Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme (IBBS) der Universität Stuttgart zusammenarbeiten. Das Konsortium entwickelt eine innovative Monitoring-Technologie, die automatisiert und großflächig Plastikmüll sowie verschiedene Plastikarten am Meeresgrund erkennen und bestimmen kann. Zudem soll das neue System den Zustand des Plastiks erfassen und die Ergebnisse mit georeferenzierten Daten koppeln. Auf diese Weise ist es nicht nur möglich, den Grad der Verschmutzung einzuschätzen, sondern auch Veränderungen des Plastikmülls über beliebige Zeiträume hinweg zu verfolgen und Reinigungsmaßnahmen zu planen. 

Um dabei in menschenfeindliche Tiefen vordringen und weite Gebiete abdecken zu können, soll das neue System in Zukunft auch auf ferngesteuerten oder autonomen Unterwasserfahrzeugen einsetzbar sein. Die aus den Tauchgängen gewonnenen Informationen sind dank automatisch erstellter farbcodierter Karten auch ohne Expertenwissen verständlich und daher bei der Plastikbekämpfung von vielfältigem Nutzen.  

Hyperspektrale Bildgebung und leistungsfähige KI-Algorithmen

Zur Realisierung ihres Vorhabens setzen die Projektpartner auf Hyperspektrale Kameras. Diese registrieren in jedem Pixel nicht nur Farbinformationen über Rot, Grün und Blau, sondern auch Lichtanteile in mehreren hundert verschiedenen Wellenlängen im sichtbaren und Nah-Infrarot-Bereich. Kombiniert wird dies mit Künstlicher Intelligenz: Anhand der charakteristischen Reflexionsspektren lassen sich die Algorithmen trainieren, um in der Gesamtmenge der aufgenommenen Daten Plastikmüll am Meeresboden präzise erkennen, klassifizieren und die für die visuelle Darstellung notwendigen Daten extrahieren zu können. Damit die Technologie unter Wasser funktioniert, soll in „MtecPla“ zudem ein wasserdichtes Gehäuse konstruiert werden, welches sicherstellt, dass das Licht optimal in der Kamera ankommt. 

Testkampagnen im Labor und unter Realbedingungen 

Am IBBS der Universität Stuttgart werden die entwickelten Komponenten unter kontrollierten Laborbedingungen getestet und evaluiert. Dafür stellen die Forschenden spezielle Sediment-Plastik-Gemische her, die mikroskopisch umfassend charakterisiert werden. Durch Variierung des Anteils einzelner Plastiksorten sowie deren Größe und Form kann ein breites Spektrum realitätsnaher Verschmutzungen bereits im Voraus untersucht werden. Da Aufwuchsorganismen und Abbauprozesse möglicherweise die Signalverarbeitung beeinträchtigen können, wird auch gealtertes Material in den Tests berücksichtigt, sodass etwaige Beeinträchtigungen frühzeitig erkannt und behoben werden können. 

Für die Tests steht am Robotics Innovation Center des DFKI ein 20 m³ großes Wasserbecken zur Verfügung, das sich abdunkeln und eintrüben lässt und so meeresbodenähnliche Bedingungen schafft. Anschließend soll das neue System auch außerhalb des Labors am Grund eines Sees erprobt werden. So ist die im Rahmen des Vorhabens entwickelte Technologie auf die Plastikdetektion in allen aquatischen Lebensräumen übertragbar. Zudem ergeben sich völlig neue Anwendungsfelder, etwa im Bereich des Monitorings von Unterwasserkonstruktionen, wie Offshore-Windparks, Aquakulturen und beim Küstenbau. Auch lässt sich die Software nutzen, um außerhalb von Wasser hyperspektrale Bilder zu verarbeiten. 

Fachlicher Kontakt:

Prof. apl. Dr. Franz Brümmer, Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme (IBBS), Tel. +49 711 685 65083, E-Mail

Medienkontakt

 

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