Verschiedenheit für alle – Universität Stuttgart auf dem Weg zu einer Inklusionsvereinbarung

25. Juli 2022

Drei Workshops, über 20 Beteiligte und die Herausforderung, bis zum 3. Dezember 2022 eine Vereinbarung für die 5000 Beschäftigten und über 20.000 Studierenden der Universität Stuttgart zu schaffen – so lässt sich der Weg zur Inklusionsvereinbarung formal zusammenfassen.

Inhaltliches Ziel der offenen Arbeitsgruppe ist es, „meine Arbeit überflüssig zu machen“, so der Inklusionsbeauftragte der Universität, Dr. Ulrich Eggert, der den Prozess leitet. Alle Beschäftigten und Studierenden sollen zukünftig Inklusion so selbstverständlich leben, dass es keine gesonderten Institutionen für Teilhabe mehr braucht.

Arbeitsgruppe ist bunt besetzt

Angestoßen hatte Eggert die Initiative zum 3. Dezember 2021, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen. Unterstützt von der Prorektorin für Diversity und Internationales, Prof. Silke Wieprecht, entstand der Zeitplan, bis zum kommenden Aktionstag die Vereinbarung verfasst und beschlossen zu haben. Wichtig ist allen Beteiligten, dass nicht nur ein Papier mit schönen Worten entsteht, sondern seine Inhalte auch gelebt werden.

Zum Auftakt am 27. April trafen sich 20 Personen aus Verwaltung, Gleichstellung, Chancengleichheit, IT, Instituten und dem Personalrat. Für die Universitätsleitung beteiligten sich Prorektorin Silke Wieprecht und Kanzler Jan Gerken. Betroffene wie Nichtbetroffene trugen bei einem ersten Brainstorming Ideen zusammen, ermittelten Schwachpunkte und tauschten Erfolge aus. Insbesondere legten sie gemeinsam die Arbeitsweise fest – Workshops in größeren Kreisen, Ausarbeitung in Kleingruppen – und klärten die Begriffe.

Vierzehn Personen aus der Universität unterhalten sich mittels Videotelefonie über die Inklusionsvereinbarung.
Ein Bildschirmfoto aus der Auftaktveranstaltung.

Mit dem englischen Zitat „Diversity is being invited to the party, inclusion is being asked to dance“, gab Wieprecht eine Richtung vor: „Diversität heißt, zu einem Fest eingeladen zu sein, Inklusion bedeutet, zum Tanz aufgefordert zu werden.“ Dass die Universität divers ist und durch Vielfalt intelligent, zeigte die Vielfalt der Engagierten. Dass allerdings der Anteil an Beschäftigten mit Behinderungen viel zu gering ist, bemängelten mehrere Teilnehmende. Seit diesem Jahr muss die Universität darum Strafe zahlen.

Einigkeit herrschte, dass Diversität und Inklusion breit gedacht werden sollen, also ein Zusammenleben aller Personen umfasst. „Gemeinsam verschieden sein“, stellte der Kanzler als Schlagwort in den Raum. Um nicht auszuufern, fokussiert sich die Inklusionsvereinbarung auf Bedarfsermittlungen, Projekte und Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen das Studieren und Arbeiten an der Universität Stuttgart erleichtern.

Erfolge und Anreize

Die ersten Ideen drehten sich vor allem um die Frage, wie die Universität als Arbeitgeberin attraktiver für Menschen mit Einschränkungen werden könne. Erfolge gibt es bisher vor allem im Abbau von Barrieren – so seit 2015 durch den Arbeitskreis Barrierefreier Campus, der sich für bauliche und digitale Barrierefreiheit einsetzt. Auch das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) hilft vielen Personen bei der Rückkehr in den Beruf nach längeren Krankheiten.

Insbesondere bei Maßnahmen wie Nachteilsausgleichen für Betroffene, an Anreizen für Institute und dem notwenigen Gespür bei Stellenbesetzungen gebe es Verbesserungsbedarf, so einige Beteiligte. Zwar gebe es trotz der Strafzahlungen keine Landesmittel, um mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Allerdings gebe es öffentliche Förderungen, etwa, damit ein Institut beispielsweise für eine blinde Mitarbeiterin oder einen gehörlosen Mitarbeiter technische Hilfsmittel beschaffen kann.

Kanzler Gerken rief zu einem „Kulturwandel“ auf, den er sich so vorstellte, dass alle Einheiten der Universität gemeinsam die Mittel zur Verfügung stellen müssten. Auch die politischen Rahmenbedingungen müssten besser werden, zumal, wie ein Mitglied des Personalrats anmerkte, die EU zukünftig Inklusionskonzepte für alle integrationsbedürftigen Gruppen fordere. Prorektorin Wieprecht schlug vor, Bereiche zu ermitteln, in denen auch problemlos mit bestimmten körperlichen Einschränkungen gearbeitet werden könne.

Über 40 Ansatzpunkte

In den folgenden beiden Workshops – räumlich aufgeteilt an den Standorten Stadtmitte und Vaihingen – flossen die losen Ideen in strukturierte Inhalte. Ende Mai und Anfang Juni wurden daraus fünf Motivationen und sieben Bedarfe festgehalten, entstanden zwölf Projektvorschläge sowie 17 konkrete Maßnahmen.

Ein Beispiel ist etwa, Nachteilsausgleiche bei Behinderungen oder aufgrund persönlicher oder familiärer Situationen zu forcieren. Insbesondere für Studierende müsse bei den Dozierenden eine höhere Sensibilität geschaffen werden. Damit sich Betroffene austauschen können, besteht Bedarf für professionell geleitete Gruppen. Ein weiteres Beispiel kommt aus der jüngsten Erfahrung: Die digitale Lehre habe viele Erleichterungen für Studierende mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen gebracht. Die Vorteile sollten auch bei wiederkehrender Präsenzlehre bleiben. Um das zu unterstützen, könnte es Preise für besonders barrierefreie Lehre geben.

Schulungen und Kursangebote sollen die Kompetenzen in digitaler Barrierefreiheit erhöhen, Führungskräften die Scheu vor Vielfalt nehmen – am besten bereits beim Onboarding. Einstellungsverfahren sieht die Arbeitsgruppe als großen Hebel: Stellenausschreibungen müssen attraktiver werden; außerdem soll gezielt auch darauf hingewiesen werden, dass manche Stellen sich etwa für körperliche Behinderungen eignen. Auch der Weg zum Vorstellungsgespräch müsse barrierefreier werden, etwa, indem Bewerber*innen an der Eingangstüre abgeholt werden.

Um die Maßnahmen und Projekte umzusetzen, stellt sich die Arbeitsgruppe zum einen Vorgaben vor – etwa als Dienstverpflichtungen für Beschäftigte. Zum anderen sollen Vorleben und der weiche Wandel in der Universitätskultur die Verhaltensänderungen mit befördern. Kommunikativ sollen etwa Beispiele gelingender Inklusion in der Universitätsgemeinschaft gezeigt werden.

Mitgestaltung erwünscht

Über den Sommer hinweg sollen diese Motivationen, Bedarfe, Projekte und Maßnahmen nun ausformuliert werden und in weiteren Runden im Herbst eine abschließende Form bekommen. Die Arbeitsgruppe ist so bunt wie die Menschen an der Universität – darum sind auch Sie herzlich eingeladen, zu den weiteren Treffen zu kommen und die Inklusionsvereinbarung der Universität Stuttgart mitzugestalten. Wenden Sie sich gerne formlos an Ulrich Eggert.

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