Oualid Ben Rejeb ist ein junger Mann mit dunklen Haaren, kurzem Vollbart und einer kastigen Brille. Er sitzt lässig auf einer Treppenstufe und blickt entspannt in Richtung seines Gegenübers.

In der Bahn spreche ich jetzt Deutsch

23. Januar 2018 / #vielfalterleben

Vor fünf Jahren kam Oualid Ben Rejeb zum Informatikstudium nach Deutschland. Wie er zu einer Art Promi auf dem VaihingerCampus geworden ist und wie er mit Diskriminierung im Alltag umgeht, erzählt er im Interview.

Deine Ankunft in Deutschland war eher enttäuschend. Was ist dir passiert?
An meinem ersten Tag, 14. März 2013, war ich am Frankfurter Flughafen. Der ist riesig und ich hab‘ mich verlaufen. Ich habe einen Polizisten nach dem Weg gefragt und er hat sich geweigert, mit mir Englisch zu reden. Ich musste dann irgendwie meinen Weg finden. Das hat mich aufgeregt: Der arbeitet am Flughafen und redet mit Aus-ländern und Touristen kein Englisch?! Das war voll enttäuschend.
Du bist nicht als Geflüchteter sondern als ausländischer Student nach Deutschland gekommen. Warum wolltest du in Deutschland studieren?
Ich habe in Tunesien einen Ingenieursabschluss gemacht. Kurz nach der Revolution war der Arbeitsmarkt in Tunesien aber schwierig; es wurden kaum junge Leute eingestellt. Ich habe dann die Entscheidung getroffen nach Deutschland zu gehen und hier noch einmal zu studieren. Einen Job in Deutschland zu finden, wäre schwierig geworden, weil ich ja in Tunesien noch keine Arbeitserfahrung gesammelt hatte. Frankreich stand auch zur Wahl, aber weil mein Bruder mit seiner Familie in Stuttgart lebt, habe ich mich für Deutschland entschieden.
Für nicht EU-Bürger bedeutet ein Studium in Deutschland großen bürokratischen Aufwand. Welche Auflagen musst du erfüllen, um hier studieren zu dürfen?
Ich musste direkt nach meiner Ankunft einen Deutschkurs und einen Sprachtest machen. Dann musste ich all meine Unterlagen, wie das Abiturzeugnis, übersetzen lassen und von der Ausländerbehörde eine Genehmigung einholen, damit ich hier studieren und arbeiten darf. Die wichtigste Voraussetzung war aber die Sprache, weil mein Studium auf Deutsch ist. ZumGlück bin ich sprachbegabt und habe innerhalb von vier Monaten Deutsch gelernt, aber als ich ankam, konnte ich nur „Hallo“ sagen. Radio, Fernsehen, mit Leuten auf der Straße sprechen und ja, auch Flirten, haben mir dabei geholfen. Und natürlich hab ich viel gelesen.
Was bedeutet es für dich, dass du für das Masterstudium Studiengebühren bezahlen musst?
Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, ich gehe hier arbeiten und setze dann mein Studium fort. Oder ich ziehe um, nach Hamburg oder Köln – wo man keine Studiengebühren zahlen muss. Wenn ich in Baden-Württemberg bleibe, muss ich jedes Semester 1500 Euro Studiengebühren bezahlen. Das sind zwei Monatslöhne! Und überleben muss ich ja auch irgendwie.
Du hast bereits in Tunesien einen Bachelor in Nachrichtentechnik gemacht. Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Studium in Tunesien und dem Studium in Deutschland?
Fachlich sind die Unterschiede natürlich groß. Mein Bachelorstudium, Nachrichtentechnik, bezieht sich eher auf neue Technologien von System Transmissions. Das hat nicht viel mit Programmieren zu tun. Weil genau das aber Trend ist, studiere ich jetzt Informatik. Auch das Studentenleben ist anders. In Tunesien war alles ganz einfach: Ich konnte bei meiner Mutter leben, weil ich in meiner Heimatstadt studiert habe. Der Umzug nach Deutschland war dagegen... Wow! Riesig! Ich musste alles lernen: Kochen, Putzen, Haushalt. Aber jetzt, fünf Jahre später, ist alles kein Problem mehr! Neben dem Studium zu arbeiten ist in Tunesien auch nicht die Regel. Da macht man das nur in den Sommerferien.
Du bist jetzt seit knapp vier Jahren in Deutschland. War es schwer Anschluss zu finden?
Für mich nicht! Das war easy! Ich hab‘ beim Zigarettenrauchen, im Sport, auf dem Weihnachtsmarkt und im Stadion Leute kennengelernt. Ich bin fast schon berühmt auf dem Campus in Vaihingen! Ein Freund ist sogar ganz genervt von mir, weil ich ständig anhalten muss, um Leute zu begrüßen.
Was gefällt dir an Deutschland besonders gut und planst du, nach deinem Studium hier zu bleiben?
Ich mag, dass alles gut geregelt ist. Alles hat seine Zeit. Manchmal ist es stressig, aber trotzdem ist es gut. Ich hab von den Deutschen echt gelernt, top organisiert zu sein. Ob ich nach dem Studium hier bleibe, weiß ich noch nicht. Ich bin ein Typ, der in jedem Land leben kann. Wo ich glücklich bin und meine Ziele erreichen kann, da bleibe ich.
12,2 Prozent der Menschen in Baden-Württemberg haben bei der vergangenen Bundestagswahl die AfD gewählt. Was macht dieses Ergebnis mit dir? Fühlst du dich beispielsweise unsicherer als bei deiner Ankunft vor vier Jahren?
Ich bin nicht unsicher, ich bin enttäuscht! Die AfD-Wähler sollten sich in Erinnerungrufen, wozu Rassismus, Hass und Wut gegen Ausländer führen kann. Die meisten Deutschen, die ich kenne, sind zum Glück tolerant – auch die Alten!
Begegnet dir Rassismus im Alltag oder an der Uni?
In der Uni gar nicht! Alle sind sehr freundlich und tolerant – Professoren, Tutoren, Mitarbeiter. Im Alltag eigentlich auch nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich schon eingedeutscht bin. Manchmal, wenn ich als Araber mit Bart in der S-Bahn sitze, einen Rucksacktrage und auf Arabisch mit meiner Mama am Telefon quatsche, merke ich schon, dass die Leute ein bisschen ängstlich werden, weil sie denken, dass ich vielleicht einen Anschlag plane.
Wie gehst du damit um?
Ich habe aufgehört, in der Bahn auf Arabisch zu telefonieren und mit Kumpels rede ich dort auch nur Deutsch oder Französisch. Dann hören uns alle zu und lächeln uns an. Man muss einfach verstehen, dass die Leute Angst haben. Ich bin aber sicher, die Situation verändert sich noch: Wenn erfolgreiche Araber, zum Studium oder für die Arbeit,nach Deutschland kommen, dann wird die Angst auch immer weniger.
Wenn du heute noch einmal ein Auslandsstudium planen würdest: Würde die Wahl wieder auf Deutschland fallen?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem wegen dem Arbeitsmarkt: Informatik ist hier sehr beliebt und ich glaube,ich kann mich hier richtig gut entwickeln und mir eine Zukunft aufbauen.

Das Interview führte Jannika Kämmerling

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